Es war einmal, so um die Jahrtausendwende, da machte sich ein begeisterter Actionfilm-Konsument namens Daniel “Dan” Bayn Gedanken über den Bruch zwischen rasanten Filmsequenzen und langatmigen Rollenspielkämpfen. Welcher Rollenspieler kennt das nicht: Initiative *roll, roll*. Angriff *roll*. Parade *roll*. Schaden minus Panzerung. Gegenangriff *roll*. Parade *roll*… etc. Das allein kann eine Runde von vier Spielern in Midgard, Das Schwarze Auge oder GURPS (mit sogar drei verschiedenen Arten der Parade, Block, Dodge oder Parry) im Kampf mit sechs Monstern gut und gern anderthalb Stunden beschäftigen. Fügen wir noch stimmige Beschreibungen hinzu, knacken wir leicht die Zwei-Stunden-Marke – und das noch ohne den Weg zum Kampfplatz und die Versorgung der Verwundeten danach.
Lähmend!
DAS Rollenspiel – D&D – erspart den Spielern je nach Edition dank Armor Class AC oder To-Hit-Zahl THAC0 zumindest die Parade. Eine große Zeitersparnis, aber noch nicht der ganz große Wurf.
Dan Bayn hatte eine Idee, die für so manche Rollenspieler weit übers Ziel hinausschießt, und die auch recht große Ansprüche nicht nur an den Spielleiter, sondern ungewohnt intensiv auch an die Spieler stellt.
Narrative Wahrheit
In “Wushu”, Beschreibung ist Fakt.
Spieler “versuchen” nicht, jemanden niederzuschießen — sie sagen es, also passiert es. Und je genauer sie es beschreiben, je mehr Details sie dazu liefern, desto effektiver tun sie es. Das gilt nicht nur für Gewalt, sondern für alles. Auch eine schwierige Felswand hochzuklettern ist in letzter Konsequenz nichts anderes als ein “Kampf”.
Kooperative Kreativität
Und hier kommt noch ein wichtiger Faktor hinzu: Verantwortungsbewusstsein. Aus großer Macht erwächst große Verantwortung, und das gilt auch für die Macht, die Realität durch bloße Beschreibungen zu verändern.
Auch wenn man es könnte: man sollte offensichtlich tödliche Verletzungen oder die schnelle Erreichung des Triumphs über eine Felswand vorerst zurückhalten.
Ein Drehbuchautor würde eine spannende Szene nicht einfach mit einem Federstrich beenden, und das sollten auch Wushu-Spieler nicht tun. Dramatik zählt! Und zwar ganz direkt: Je genauer ein Angriff beschrieben wird, desto stärker wird er. Je intensiver eine Verteidigung beschrieben wird, umso massiver beschützt sie die Figur in Wushu. Und wenn alles in einer Sekunde vorbei ist, zahlt sich die ganze investierte dramatische Energie gar nicht aus.
Denn sonst wäre das Chi des Ziels noch gar nicht aufgebraucht, wenn ein Sieg bereits beschrieben wurde und die erzählte Narrative Wahrheit in einen Widerspruch zur abstrakt relevanten Lebensenergie tritt.
Chi
Jeder Charakter, jeder Gegenspieler und auch jede Masse gesichtsloser “Mooks” hat “Chi” — letztlich Lebenskraft, Energie. Diese Lebenskraft nennen wir im Spiel “Chi”.